Eine erster wichtiger Schritt zum Verständnis chronischer und behandlungsresistenter Erkrankungen ist es, eine Krankheit in die beiden Aspekte von Edlem Kern und Befall zu unterteilen.
Keine Krankheit ist das eine oder das andere, sondern hat in aller Regel von beidem etwas in unterschiedlicher Gewichtung. Wenn eine Aspekt sehr stark überwiegt, genügt es häufig, nur den größeren Teil zu betrachten und behandeln, der andere Teil findet dann oft seinen Weg von alleine.
Zusätzlich zu diesen beiden Aspekten Edler Kern und Befall kann es noch einen weiteren dritten Aspekt geben, der etwas von beiden hat, aber doch ganz anders ist: der Traumatische Kern.
Äußerer und Innerer Befall
Der Befall selbst ist nochmal untergliedert in äußeren und inneren Befall.
Der äußere Befall schädigt das System oder hemmt die Regulationsmöglichkeit, so lange dieser besteht.
Ist die Ursache beseitigt, hört die Wirkung des äußeren Befalles sofort auf. Die Regulation wird nach einer Rekonvaleszenz-Zeit wieder in fröhlicher Ordnung sein.
Ist der anfänglich äußere Befall sehr stark, lang anhaltend oder trifft auf offene Stellen, dann kann er zum inneren Befall werden.
Eine Befall durch Fehlernährung behebt sich mit einer Ernährungsumstellung.
Eine Schwermetallbelastung behebt sich nicht alleine dadurch, dass die Quelle der Belastung abgestellt wird.
Der Befall hat sich im Inneren festgesetzt und geht nicht von alleine.
Bei der Unterscheidung zwischen innerem und äußerem Befall ist die Frage, ob die Befallsymptome verschwinden, wenn die Befallsursache abgestellt wird.
Ein Erkältung oder ein Magenverstimmung bleibt ein äußerer Befall, da die Symptome mit der Erkältung nach einigen Tagen oder Wochen wieder gehen.
Eine Borreliose dagegen kann ausheilen wie eine Erkältung, oder sich im Körper festsetzen und chronisch werden, obwohl die auslösenden Keime (Borrelien) bereits durch das Immunsystem oder mit Hilfe von Antibiotika eliminiert sind.
Äußerer Befall bildet sich von alleine nach Abstellen der auslösenden Ursache zurück.
Innerer Befall bleibt nach Abstellen der auslösenden Ursache .
Daher braucht ein innerer Befall natürlich die selbe Grundbehandlung wie ein äußerer Befall, nämlich das Abstellen der Noxe (schädigende Einwirkung von außen).
Darüber hinaus muss jetzt zusätzlich noch eine geeignete Behandlung gefunden werden, die das „zurückgebliebene Übel“ ausleiten oder lindern kann, bzw. den entstandenen Schaden stabilisieren oder heilen kann.
Der innere Befall ist daher viel komplexer zu behandeln als ein äußerer Befall.
Der Traumatische Kern
Ist ein innerer Befall so langandauernd und prägend für das Leben bzw. die Sozialisation, dann kann sich um den inneren Befall ein Traumatischer Kern entwickeln.
Das Problem des inneren Befalles ist, dass dieser die eigene Schutzbarire durchbrochen hat, und so ins Innere gelangt ist.
Es ist nun nicht mehr möglich vor dem Befall einfach zu flüchten, denn egal wohin man sich zurückzieht, den inneren Befall nimmt man dahin mit.
Man kann sich höchstens dort hin zurück ziehen, wo kein äußerer Anlass ist, der den inneren Befall zusätzlich aktiviert und mit neuer Kraft versieht.
Der andere mögliche Schutz vor Schaden eines bestehenden inneren Befalls ist der Versuch aktiv Bedingungen zu schaffen, die die Situation stabilisieren bzw. destabilisierende Situationen zu meiden.
Diese notwendige Strategien um mit einem inneren Befall überhaupt leben bzw. überleben zu können, formen ein Sammelsurium an Überlebenstaktiken rund um den inneren Befall. Dieses selbst erschaffene Schutzgerüst um den inneren Befall ist der Traumatische Kern.
Dieses Schutzgerüst wird aktiviert, wenn eine subjektiv erlebte Bedrohung entsteht. Der Traumatische Kern eines jeden Patienten reagiert auf ganz individuelle Dinge, etwas ähnlich wie bei einer Allergie.
Für Außenstehende ist das oft völlig unverständlich und unvorbereitet.
Auch elementare Lügen, mit denen einen Kind groß wird, können so etwas wie einen Traumatischen Kern bilden.
Der Unterschied zwischen innerem Befall und Traumatischen Kern ist genau so wie der zwischen äußerem und innerem Befall.
Ist die Ursache des ursprünglichen inneren Befalls beseitigt, verlieren die Schutz- und Überlebenstrategien ihre Bedeutung im Alltag.
Hat der innere Befall allerdings über lange und prägende Jahre eingewirkt, vor allem in der Kindheit, dann wurde das ganze Lebensmodell und die Biographie rund um den Traumatischen Kern gestrickt.
Selbst wenn hier jetzt die Ursache wegfällt, ist das Lebensmodell als Traumatischer Kern noch da, und auch nicht wegnehmbar, da es so tief mit der Persönlichkeit verwoben ist.
Hier wird die Behandlung natürlich noch komplexer und filigraner.
Um einen Traumatischen Kern überhaupt mit dem Patienten betrachten zu können, braucht es einen zumindest zeitweisen Schutz vor einen weiteren äußeren Befall, und eine zumindest zeitweise Stabilisierung des inneren Befalls.
Dort angekommen heißt es dann wie beim Edlen Kern:
„Anschauen und nichts verändern.“
Das ist absolut „genug“.
Der Rest meldet sich nach und nach, ohne dass man danach graben sollte.
Das Modell des Traumatischen Kerns bezieht sich vorwiegend auf Entwicklungstraumatisierungen aller Art – langjährig anhaltend- vorwiegend in der Kindheitsphase (aber nicht ausschließlich)
Diese bilden auch die Grundlage aller Erschöpfungskrankheiten.
Schockzustände nach akuter Traumatisierung fallen hier nicht zwingend hinein. Wenn diese mit einer guten Krisenintervention, psychologischer Begleitung ggf. Trauerbegleitung versorgt werden, können sie auf der Stufe eines schweren äußeren Befalls gehalten und verarbeitet werden.
Auf diesem Weg muss mit begleitender Hilfe das Leben und der Alltag neu gelernt werden, auf Basis der neuen Bedingungen.
Ein posttraumatisches Belastungssyndrom dagegen entsteht, wenn nach akuter Traumatisierung keine ausreichende Krisenintervention und Begleitung zur Verfügung stehen. Der Mensch versucht dann meist alleine das alte Leben wieder weiter zu führen, was nicht gelingen kann. Dabei wird das traumatische Erlebnis zum inneren Befall, an dem sich der Einzelkämpfer aufzehrt- bis zum Zusammenbruch.
Das Wort Einzelkämpfer ist bei weitem kein Vorwurf. Es bleibt ja nicht viel als alleine zu kämpfen, wenn es keine Hilfe von außen gibt.
Die große Gemeinsamkeit der Patienten mit Traumatischen Kernen ist nicht das „Schlimme“, das diese in ihrem Leben erlebt haben – das ist vielfältig und ganz individuell – , sondern dass Gemeinsame ist, dass sie mit ihrem Schlimmen alleine waren ohne den Schutz und die Hilfe, die es gebraucht hätte.